Methodik
Im Rahmen seiner jährlichen Wohnungsmarktanalyse WIP (WohnInvestmentProspects) hat GEWOS eine neue Bevölkerungsprognose für alle deutschen Kreise und kreisfreien Städte erstellt. Zwei Komponenten sind wesentlich für die zukünftige Einwohnerentwicklung – die natürliche Bevölkerungsentwicklung als Saldo von Geburten und Sterbefällen sowie die Wanderungsbewegungen als Bilanz von Zu- und Fortzügen. Während Geburten und Sterbefälle valide anhand von Geburten und Sterbewahrscheinlichkeiten berechnet werden können, unterliegen die zukünftigen Wanderungen stärkeren Schwankungen. Ereignisse wie die Wirtschaftskrise im Jahr 2009 und die folgende Zuwanderung vieler Süd- und Südosteuropäer nach Deutschland oder die Flüchtlingszuwanderung in 2015 und 2016 waren kaum vorhersagbar. Daher wird in Einwohnerprognosen häufig die Entwicklung der Wanderungen in den vergangenen Jahren betrachtet und um Sondereffekte bereinigt (Stützzeitraum). Begründete Einschätzungen zukünftigen Verhaltens komplettieren die Prognoseannahmen. Dieses Vorgehen ist auch Grundlage der aktuellen Einwohnerprognose.
Als Stützzeitraum wurden die Jahre 2012 bis 2019 betrachtet. Die Jahre 2015 und 2016 wurden aufgrund der außergewöhnlich vielen Zuzüge von Schutzsuchenden nicht in den Referenzzeitraum aufgenommen, um diesen Sondereffekt nicht fortzuschreiben. Auch die derzeit absehbaren Auswirkungen der aktuellen Corona-Pandemie, die mit einer verminderten Mobilität einhergeht, wurden in der Prognose berücksichtigt. Für die Jahre 2020 und 2021 wurden die jüngsten Wanderungsdaten hochgerechnet, was in einer deutlich geringeren Zuwanderung aus dem Ausland gegenüber den Vorjahren mündet. Ab 2022 wird ein wieder ansteigender Außenwanderungssaldo angenommen.
Ergebnisse
Die Einwohnerentwicklung in Deutschland verläuft unter den beschriebenen Voraussetzungen weiterhin positiv. GEWOS geht insgesamt von einem leichten Bevölkerungswachstum von 0,7 % auf 83,7 Mio. Einwohner im Jahr 2035 aus. Das Wachstum wird vor allem von den bevölkerungsreichen, alten Bundesländern getragen, deren Einwohnerzahl bis 2035 um 1,4 % steigt. Die neuen Bundesländer verlieren weiterhin an Einwohnern. Ihre Einwohnerverluste belaufen sich im Prognosezeitraum auf insgesamt 2,3 %.
Die zukünftige Entwicklung der Einwohnerzahlen in den deutschen Kreisen und kreisfreien Städten verläuft differenziert und ist ein Spiegelbild der regional unterschiedlichen wirtschaftlichen Dynamik. Die A-Städte in Deutschland haben auch weiterhin Einwohnerzuwächse zu erwarten. Auch hier verläuft die Entwicklung unterschiedlich. Die neuen “Boomtowns“ heißen Berlin mit einem Wachstum von +6,6 % und Frankfurt a. M. mit +6,2 % mehr Einwohnern. Hamburg gewinnt 4,7 % an Einwohnern hinzu, Köln +4,8 %. In Düsseldorf (+0,9%), Stuttgart (+2,6%) und München (+4,0 %) verläuft das Wachstum zukünftig moderater. In der Bayrische Landeshauptstadt kann das Wohnungsangebot trotz reger Neubautätigkeit nicht mit der externen Nachfrage Schritt halten, sodass sich der Nachfragedruck weit in die Region hinein erstreckt und dort zu einer stärkeren Wachstumsdynamik führt.
Über die Region München hinaus wächst nahezu der gesamte wirtschaftlich prosperierende süddeutsche Raum. Fast Gesamtbayern wird bis auf wenige strukturschwache Regionen im Nordosten Wachstumsraten von bis zu 10 % zu erwarten haben. Diese Wachstumsregion erstreckt sich auch auf weite Teile Baden-Württembergs mit Hotspots wie Tübingen, Pforzheim und dem Landkreis Emmendingen bei Freiburg. Zu den Deutschen Wachstumsregionen zählen zudem das Rhein-Neckar- und Rhein-Main-Gebiet mit Frankfurt a.M. und seinen Umlandkreisen bis in den Landkreis Fulda.
Die Stadtstaaten Berlin und Hamburg bilden mit ihrem Umland Wachstumscluster. Hannover und das „VW-Land“ bei Wolfsburg und Braunschweig gewinnen auch zukünftig an Einwohnern. Die Großstädte Köln und Düsseldorf im Westen, sowie Leipzig und Dresden in Osten des Landes bilden Wachstumsinseln in Regionen mit weitgehend stagnierender oder rückläufiger Bevölkerungsentwicklung. Hier erstecken sich die Potenziale für die Stadt/Umlandwanderungen auf die Nahbereiche der benachbarten Landkreise, während weiter entfernte Bereiche weiter an Einwohnern verlieren. Zu den Wachstumsregionen im Nord-Westen gehören Ostfriesland und das Emsland, die derzeit noch von einer starken Agrarindustrie sowie vom Schiffbau profitieren. Ob die vorausgeschätzten Einwohnergewinne in den Wachstumsregionen tatsächlich so eintreten, hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Deutschen Schlüsselindustrien wie die Automobilproduktion und der Maschinenbau in Niedersachen, Bayern und Baden-Württemberg den Strukturwandel in den kommenden Jahren bewältigen können.
Einwohnerverluste haben vorwiegend ländliche und strukturschwache Regionen zu erwarten, auch wenn einige gut angebundene Mittelzentren zukünftig von veränderten Wohnpräferenzen profitieren können, die die Corona-Pandemie und der Trend zum Homeoffice mit sich gebracht haben.
Rückläufige oder stagnierende Einwohnerzahlen sind auch zukünftig nicht allein ein Symptom der östlichen Bundesländer. Die schrumpfenden und stagnierenden Regionen erstecken sich bis in den Nordosten Bayerns und weite Teile des südlichen Niedersachsen und Nordhessens. Der Strukturwandel Ende des letzten Jahrhunderts wirkt sich weiterhin auf die Einwohnerentwicklung der Montanregionen im Saarland und im Ruhrgebiet aus. In beiden Regionen sind auch zukünftig Bevölkerungsverluste zu erwarten, ebenso wie im ländlich geprägten Schleswig-Holstein.
Fazit
Die Prognose zeigt, dass die demografischen Herausforderungen weiterhin sehr vielfältig sind. Die Kommunen in den Wachstumsregionen stehen vor der immer schwierigeren Aufgabe, ausreichend Wohnraum zu schaffen, die Bezahlbarkeit des Wohnens zu gewährleisten und Zuwanderer zu integrieren.
In den schrumpfenden Regionen lässt sich der Trend zu weiteren Einwohnerverlusten kaum umkehren. Hier gilt es vor allem die bestehenden Strukturen an eine geringere Einwohnerzahl und alternde Bevölkerung anzupassen und im Rahmen der kommunalen Daseinsvorsorge die Lebensqualität zu erhalten und wenn möglich, zu verbessern. Auch in diesen Regionen ist zukünftig Wohnungsneubau in überschaubarem Maße erforderlich, da das bestehende Angebot oft nicht den heutigen Bedarfen entspricht. So müssen vielerorts Rückbau und Neubaumaßnahmen gleichzeitig erfolgen.
Autor:
Daniel Hofmann
Tel.: 030 278749 11